WIR LADEN EIN!!!!
>>>Gästezimmer FREI
Fam. Eber heißt SIE herzlich WILLKOMMEN
***In Privatbesitz aus Tradition***
“Unsere GÄSTEZIMMER mit privatem BAD!!!
Unsere Pension ist stadtbekannt für ihr kunterbuntes Schlemmerbuffet. Für einen ausgelassenen Abend mit Freunden können Sie auch unsere “kultige” Kegelbahn reservieren!”
“Liebe Gäste, beachten Sie unsere neue mobile RUFNUMMER und reservieren Sie j e t z t eines unserer gemütlichen Gästezimmer für das Jubiläumswochenende ( 2-4 JUNO). Beachten Sie unsere neue Anzeige und vergessen Sie nicht sich in die “Gästeliste” einzutragen. – wg Planung 😉
Wir sehen uns neulich, GUT HOLZ.
-Fam. Eber”
Die Inszenierung der fiktiven »Pension Fam. Eber« beginnt bei der Anzeige, die als Plakat, Werbung und Identität zugleich für das Theaterprojekt fungiert: im Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft hängt sie zwischen herkömmlicher Werbung und Produktionsplakaten aus. Im Programmheft der „Theatermaschine“ (der Werkschau der Studierenden des Instituts) wird diese Anzeige ohne Angaben zur KünstlerIn, Dauer, Ort oder Produktionsform geschaltet und sorgt damit für Irritation und Interesse.
Hierbei stellt sich das potentielle Publikum die Frage: Ist das Kunst, ein Witz oder eine echte Unterkunft, die das studentische Festival unterstützt?
Um die Fiktion auszubauen, entsteht eine Internetpräsenz der „Pension“ bei Facebook. Ein Profil mit Angabe einer Anschrift, E-Mail Adresse, Freunden, Fans, Inhalten, Bildern, Kommentaren und Bewertungen. Es wird eine Geschichte etabliert: die Zuschauer*innen erfahren über mehrere Wochen hinweg täglich etwas über die „Ebers“ und ihre Leidenschaft, Angst, Humor, Geschmack, Geschichte, Freizeitgestaltung. Eine oberflächliche Bekanntschaft entsteht, der erste Kontakt, Unterhaltung, Austausch und die einfachste Form von Zeitvertreib im sozialen Netzwerk.
Die Inszenierung hat bereits angefangen, ohne, dass es das Publikum bemerkt hat.
Wir begreifen diese Strategie als ein Experiment, das Theater und die virtuelle Realität aneinander teilhaben zu lassen.
Sitzplätze und Karten gibt es für dieses Stück keine. Der einzige Weg, beim 34. Jubiläum der Pension dabei zu sein, ermöglicht sich durch einen Anruf der Hotline. Am Telefon entwickelt sich ein Gespräch bezüglich der Reservierung. Uhrzeit, Ort und Anreise werden vereinbart. Die Buchung ist unter Angabe von Name und Telefonnummer verbindlich, den Abend sollte man sich für die „Übernachtung“ freihalten.
Hier nimmt der Anrufer bereits eine erste Rolle ein. Er verstellt seine Stimme, gibt sich unter falschem Namen aus, spielt mit.
Die Rezeption besteht aus einem Tisch, Telefon, PC, Sektempfang, Snacks, Musik, Dekoration sowie Toiletten und wird im Wechsel rundum von zwei Ebers und ihrem Pensionshund besetzt. Das obligatorische einchecken dauert einige Minuten während das Zimmer gereinigt wird. Bei Smalltalk und einem kurzen Kennenlernen wird eine Unterschrift für ein Formular verlang. Dabei geht es um die vollständige Abgabe der eigenen Bild- und Tonrechte während des Aufenthaltes. Durch diesen Vertrag ist der Einlass rechtmäßig abgesichert und gewährleistet.
Das Zimmer ist eingerichtet, beim Einchecken hilft Dieter Eber. Er führt seine Gäste durch den Raum, indem er sie auf ein paar Einzelheiten hinweist. Der gesamte Raum steht dem Gast zur Verfügung, er kann seine Sachen erst einmal ablegen. Die Minibar steht offen, Bier ist kalt, es gibt ein kleines Begrüßungsgeschenk, die Heizung lässt sich regulieren, für Fragen ist er immer zu haben. Alles ist darauf ausgerichtet, eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen. Gerüche, Geräusche, Anordnungen und Zimmertemperatur sind ebenso sorgfältig eingerichtet wie Familienfotos, Kinderzeichnungen, Bettwäsche, Möbel, Biermarke und die Inhalte der Kommoden.
Eine klare Aufgabe gibt es zunächst nicht. Die Dramaturgie ist offen. Wie geht man mit einem menschenleeren Raum alleine um, wie als Paar? Auf den ersten Blick wirkt alles kuschelig und in die Jahre gekommen. Auf dem Bett, unter den Süßigkeiten liegt ein Briefumschlag. „Fühlen Sie sich einfach wohl. PS: Einer der Gäste hat unseren Schrankschlüssel verlegt, vielleicht können Sie ihn finden.“
Die Hinweise häufen sich. In jeder Schublade, in jedem Winkel des Raums und hinter jedem Bild, in den Steckdosen, auf der Lampe und in der Uhr lassen sich teilweise kryptische, aber auch eindeutige Spuren finden die zum Schlüssel führen oder davon weg. „ Alles wird gut“ und „Liest du gerne?“ steht drauf. Essensreste in alten Mänteln, ausgerissene Buchseiten unter dem Kissen, die Bibel im Nachtschränkchen oder ein altes Taschentuch irritieren, bestätigen, lenken ab, erzählen den Raum. Die Kommunikation und Interaktion zwischen Publikum und Szenografie bewegt sich auf unterschiedlichen Ebenen. Wer was finden will, wird alles darin finden können, umgekehrt gilt: wer nichts sucht, kann den Raum auf seinen Zweck reduzieren und sich eine Weile ausruhen. Von Briefen über Kondome, Drogen und Abfall enthält der Raum alle Spuren menschlichen Aufenthaltes. Die Schreibmaschine funktioniert einwandfrei. Doch es gibt keine Fremdeinwirkung auf das Geschehen im Raum. Das Radio erzeugt eine unkontrollierte Soundkulisse, aus dem Schrank steigt Nebel auf, die Raumtemperatur liegt bei 38 Grad, Tendenz steigend.
Die stetige Raumüberwachung versetzt uns in die Perspektive des Voyeurs und dreht die Rollen von Sender und Empfänger erneut um.
Der Schrankschlüssel ist auffindbar, manches dagegen viel tiefer verborgen. Die Schranktür geht auf, der Gast steigt hinein, geht einige Stufen hinab und betritt einen unerwarteten Raum. Es ist nichts mehr eingerichtet oder beleuchtet. Der einzige Weg führt durch einen Brandschutzweg im dunklen Fundus des Instituts und damit raus aus der lupenreinen Fiktion. Fast am Ende angekommen gelangen die Zuschauenden und Spielenden durch einen Vorhang in einen neuen Raum. Ein langer Tisch und eine Sitzbank. Komplett in weiß, hell erleuchtet und unerträglich still werden die Ankömmlinge von zwei Figuren in Empfang genommen. Die Figuren wirken nicht wie Teil der Pension. Sie spielen nicht, sie performen nichts, pflegen einen natürlichen Umgang. In Unterwäsche sitzen sie an provisorisch eingerichteten Laptops. Darauf zu erkennen das Überwachungskameravideo der Pension und eine gängige Pornografieseite im Netz.
Der Gast darf sich in das kleine Studio an den Tisch setzen. Vor ihm wird ein Stativ platziert, die Kamera in sein Gesicht gerichtet. Name, Alter, Herkunft, Familienstatus, ein paar private Fragen werden gestellt und aufgezeichnet. „Weißt du wieso du heute hier bist?“
Dem nun gefilmten Zuschauer wird Brettchen, Messer und Zwiebel angereicht. Er befindet sich beim „Onion Casting“ und ist aufgefordert zu schälen und zu schneiden. Die Gecasteten versuchen die Zwiebel zu analysieren, die Zusammenhänge zu verstehen, die Aufgabe zu diskutieren, weigern sich, lassen sich darauf ein, befolgen jede Anweisung, gehen spielerisch damit um.
Je nach Individuum werden mit der Zwiebel auf unterschiedlichste Weise Sehnsüchte ausgelebt: füttern, einreiben, massieren, spucken, zuschauen und weinen.
Durchschnittlich zehn Minuten dauert ein Casting.
„Danke, das wars jetzt für dich. Bis bald.“
Nach einem erfolgreichen Dreh begibt sich der Zuschauer auf die Leiter, wird hinausgebeten, klettert durch ein enges Fenster hinaus, landet auf einer durchnässten Matratze zwischen Müllcontainern, mitten im Hinterhof eines Industriegebietes, orientierungslos. Das ist der einzige Weg hinaus.
Den Weg zurück muss er alleine finden. Sein erzeugtes Videomaterial bleibt in letzter Konsequenz ein Eigentum der Onion Casting Agentur. Es wird als Fetisch vermarktet, landet als ein weiteres Produkt im Netz und wird verkauft. Somit schließt es eine Lücke, die nie geschlossen hätte werden müssen.
Pornhub-Account
http://www.pornhub.com/users/fam_eber
Pressestimmen
Jonas Fischer auf litaffin ( http://www.litaffin.de/die-theatermaschine-lebt/)
“[….] Denn sinnentleert, entmenschlicht oder maschinell ist die Theatermaschine nicht. Viel
eher lebendiger als die Aufführungen der landläufigen Staatstheater. Bei den Stücken und
Performances, die ich gesehen habe, ist mir vor allem eine gewisse Echtheit aufgefallen.
Statt des Inszenierens fiktionaler, literarischer Texte lassen die Gießener die Fiktion zur
Wirklichkeit werden. Sehr eindrücklich war die Pension Fam. Eber, an deren Rezeption
man sich befindet, betritt man das Untergeschoss der Probebühne 1. Der knorzig-
unheimliche Rezeptionist ist ein Theaterstudent, der offenbar bereit ist, sofort in seine
Rolle zu schlüpfen, sobald sich die Tür öffnet und seinem Alter Ego nie entgleitet, egal wie
er von seinen studentischen Besuchern dazu gereizt wird. Selbst im Programmheft des
Festivals sind die Performer als Dieter, Konrad, Becci und Rita Eber aufgeführt. Hat man
„ein Zimmer reserviert“, wird man zu zweit in einen überheizten Raum geführt, der als
altmodisches Hotelzimmer eingerichtet und mit allerhand Skurrilitäten ausgestattet ist. Ein
mit Betthupferl versehener Brief auf dem ungemütlichen Federbett suggeriert, man solle
den verlegten Schlüssel für den abgesperrten Kleiderschrank suchen. Um nicht zu viel zu
verraten: Mit dem Öffnen des Schranks fängt das Abenteuer erst an und die größte
Skurrilität bleiben die Familienmitglieder der Comedy-Horror-Familie Eber selbst. Auf jeden
Fall ist man sein eigener Schauspieler und Zuschauer zugleich, fühlt sich nach der
Performance nachhaltig bedrückt und riecht eventuell nach Zwiebeln.”
Format: Immersive Dauerperfomance
Konzept / Performance: Laurenz Raschke/ Julia Stina Schmidt/ Kajetan Skurski/ Sarah Timm
Premiere: 2. Juni 2016